Austausch mit Kunst an der Kellerwand
Bei Würmla erzählen Wände von Silos, Stadeln und Kellern die Geschichten der Dörfer und deren Bewohner:innen: Mit Street Art, die ohne Worte zum Dialog lädt.
Die Art Direktorin Katharina C. Herzog lebt und arbeitet in Wien, doch sie kennt das Leben am Land gut: Sie wuchs in Jetzing auf, einem Vierhäuserdorf in der Marktgemeinde Würmla im Weinland Traisental. Dort hat sie gemeinsam mit David Leitner Wände mit Motiven gestaltet, die persönliche Geschichten vom Landleben erzählen – und die Begegnungen schaffen zwischen Menschen und Kunst, Land und Stadt. Dieses Zusammenkommen steht auch im Zentrum ihres neuen Projektes: das Pop-up-Format Fusion Heuriger im Traisental.
Vor kurzem war die Kellerwand in Jetzing unscheinbar. Jetzt rankt sich auf ihr in schwarz-weißer Farbe auffällig eine Tomatenpflanze. „Oft entwickeln sich die Früchte, die man sät, in unerwartete Richtungen.“ Diese Aussage entlockte Katharina C. Herzog ihrer Mutter Veronika, ehe sie zusammen mit David Leitner diese Pflanze auf der Wand des Kellers, der ihrer Familie gehört, verewigte. 700 m² Fläche auf 13 Wänden der Gemeinde Würmla gestalteten die beiden im Jahr 2019 mit 100 Liter Farbe und 80 Sprühdosen für ihr Abschlussprojekt an der Universität für Angewandte Kunst Wien. 30 Dorfbewohner:innen befragten sie dafür nach persönlichen Geschichten, die sie mit den dortigen Ortschaften und mit ihren Objekten verbanden, die sie Herzog und Leitner dann zur Verfügung stellten.“
Auch Herzogs eigene Familiengeschichte floss in das Kunstprojekt mit dem Titel „Würmlas Wände“ ein – in das Motiv auf der Kellermauer in Jetzing. „Mein Bruder hat unsere Landwirtschaft übernommen und alles auf den Anbau von Biogemüse umgestellt. Die Tomatenpflanze, die wir gemalt haben, trägt vier Früchte, die anders aussehen: Die Staude steht für unsere Mama und die Früchte für uns Kinder, die alle nicht das geworden sind, was sie sich dachte – aber im positiven Sinn“, erläutert Herzog die Hintergründe. Dass sie Kunst aus dem urbanen Bereich in den ländlichen Raum gebracht haben, ist für sie kein Widerspruch. Ihr Projekt soll etwas Verbindendes sein: „Ich konzentriere mich darauf, das Stadt- und Landleben zu vernetzen.“
Street Art an ländlichen Fassaden
Als Herzog am Bauernhof in Jetzing aufwuchs, war es in der Gemeinde nicht weit her mit Kunst und Kultur. Außer dem Sportverein oder dem Chor gab es für sie als kreatives Kind kaum Angebot. Später zog es Herzog trotzdem an die Universität für Angewandte Kunst, wo sie den Künstler David Leitner kennenlernte. Sie beschlossen, gemeinsam das Diplom zu machen, und da sie beide vom Land kommen, war es naheliegend, das Weinland Traisental und Herzogs Heimatgemeinde in das Projekt miteinzubeziehen. Sofort seien ihnen die Silos, Keller und Stadel aufgefallen, die die Gegend bei Würmla prägen, aber auf deren Aussehen kein Fokus gelegt worden sei. Daraufhin sei sie zur Bäuer:innensitzung gegangen, um mit dem Bürgermeister zu sprechen: „Ich habe ihm gesagt, dass es schön wäre, diese ländlichen Gebäude mit Kunst zu bespielen, die die Menschen miteinbezieht, denen sie gehören“, erklärt Herzog. Sie bekam gleich Zustimmung für die Idee – und so machten sie sich daran, Wände zu suchen und mit den Besitzer:innen in Kontakt zu treten.
Wandern von Wand zu Wand
„Sie waren natürlich verdutzt“, erinnert sich Herzog. Doch nach langen Unterhaltungen, bei denen sie gemeinsam herausfanden, welche Motive am besten passten und welche Geschichten den Menschen vor Ort wichtig waren und sind, kamen überraschend viele positive Reaktionen. Das erste Kunstwerk entstand in Pöding auf dem Silo der Familie Eichinger: Ein Bild der Göttin Aphrodite, die für die Rolle der Frau und die weibliche Kraft in der Landwirtschaft stehen soll. Dort hat entgegen der Tradition die Tochter als Jungbäuerin den Hof übernommen. Die Geschichten hinter vielen der Wände schildern auch, wie sich die Gegend verändert. Am Hof von Leopold Breitner in Diendorf verweist zum Beispiel das Bild eines Fahrrads mit Tanzschuhen im Radkorb darauf, wie er früher, als er wie viele kein Auto hatte, zum Tanzen radelte und so auf einem „Kränzchen“ seine Frau kennenlernte.
„Dadurch, dass das Projekt in meiner Heimatgemeinde entstand, war es mir wichtig, dass jeder etwas damit anfangen kann und sich wertgeschätzt fühlt“, sagt Herzog. Die Ortschaften, die zum Gemeindegebiet Würmla gehören, sind sehr idyllisch, doch meist fahre niemand außer den Einwohner:innen zu ihnen hin, da es sich oft um Sackgassen handelt. „Würmlas Wände“ biete nun einen Grund, diese Orte zu besuchen und dabei die Kunst zu entdecken. Das geht auch wandernd. „Wir haben uns auch überlegt, die Wände durch einen Wanderweg zu verbinden“, so Herzog: Deswegen führt jetzt auch der beschilderter Wanderweg Würmlas Wände durch die schöne Traisentaler Natur von Ort zu Ort, von Wand zu Wand. Darüber hinaus ist Jetzing von St. Pölten aus in nur etwa einer Stunde mit dem Rad gut erreichbar, wer das Auto bevorzugt, ist lediglich 20 Minuten unterwegs.
Begegnungen mit Kunst und Wein
„Über den Wanderweg ist das Projekt frei und einfach zugänglich, so kann jede interessierte Person vorbeikommen, wobei auch Gespräche zwischen den Besitzer:innen und den Besucher:innen entstehen“, freut sich Herzog. Ihr Wunsch, Anknüpfungspunkte für Begegnungen zu schaffen, hat sich erfüllt: Die Wände laden ein, stehenzubleiben und nachzufragen. Um kreative Begegnungszonen im ländlichen Raum geht es auch bei einem neuen Projekt in der Region, das die Künstlerin gerade mit ihrer Schwester Julia Heiß und dem Weinland Traisental initiiert hat: den „Fusion Heurigen“. Auch die Basis des Heurigen ist: Durch Kunst und Kultur ins Gespräch kommen, Erlebnisse vor Ort schaffen, wie sie in der digitalen Gesellschaft seltener geworden sind, und möglichst viel aus beiden Welten – Kreative und Kulinarik, von Stadt und Land – zusammenzubringen. So entsteht ein zweitägiger Pop-up-Heuriger mit Festivalcharakter, der jedes Mal ein neues Motto trägt, informiert und unterhält. „Wir wollen dieses Format in verschiedensten Gemeinden im Traisental veranstalten, weil hier die Heurigenkultur und der Wein ja sehr wichtig sind. Unser Wunsch ist es, dass die Menschen aus der Region, aber auch Zuzügler:innen und Wiederheimkehrer:innen, die Gegend neu entdecken. Kunstausstellungen, Musik, Talks oder Live-Podcasts sollen beim Fusionieren von Stadt und Land behilflich sein. Am Ende des Abends sollen alle an einem Tisch sitzen", erklärt Herzog. Sie will mit ihren Projekten auch für andere ein Vorbild sein, kreative Veränderungen zu starten: „Ich hatte selbst immer das Gefühl, dass ich mich trauen und etwas verwirklichen muss.“