Warum der Berg ruft

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Was sucht der Mensch in den Bergen? Bergführer Peter Groß und Ex-Hotelier Eduard Aberham stellen sich der Frage nach dem Sinn des Bergsteigens.

Auf die Frage, warum er in die Berge geht, soll Sir Edmund Hillary, der Erstbesteiger des höchsten Berges der Welt, gesagt haben: „Weil sie da sind.“

Vielen Menschen mag seine Antwort lapidar, beiläufig, vielleicht sogar trotzhaltig erscheinen, mit Sicherheit aber wenig sinngebend. Doch zumindest in einem Punkt hat Hillary mehr als recht: Die Berge sind da. Und weil es ihnen völlig gleich ist, ob wir sie besteigen oder nicht, liegt es an uns Menschen, dem Bergsteigen einen Sinn zu geben. Von sich aus werden die Berge keine Antwort geben.

Die Nähe zum Berg als Antrieb

Einer, der viel mit Hillarys Haltung gegenüber dem Bergsteigen anfangen kann, ist der niederösterreichische Bergführer Peter Groß. Er hat sein gesamtes Leben in den Bergen verbracht – dabei hat es ihn von den Alpen über die Anden bis in den Kaukasus verschlagen. Die meiste Zeit verbringt der Puchberger aber dennoch zuhause, auf dem 2.076 m hohen Schneeberg.Und wenn man Peter Groß fragen würde, warum er tagtäglich auf den höchsten Gipfel Niederösterreichs steigt, dann würde er sagen: Weil der Schneeberg vor der Haustür steht.

Was ebenso richtig, wie sinnvoll ist. Denn würde er nicht dort stehen, würde Peter etwas anderes machen, was seinem Tun Sinn gibt. Und wenn eine Tätigkeit von Sinn und Leidenschaft erfüllt ist, dann wird man ihr immer wieder nachgehen. Deshalb ist es auch wenig verwunderlich, wenn Peter sagt, dass sein Antrieb zum Bergsteigen, Skitourengehen und Klettern „irgendwann zur Gewohnheit wurde.“ Was den Reiz an der Sache für ihn aber nicht schmälerte, „denn der Schneeberg und die umliegenden Berge sind extrem facettenreich“, insofern gibt es für ihn immer einen Grund, draußen und oben zu sein.

Dem Alltag einfach entfliehen

Jemand, der die Berge anders wahrnimmt, ist Eduard Aberham. Über 25 Jahre lang war er Direktor des Grand Hotel Panhans am Semmering, dem einstigen Inbegriff der Sommerfrische. Auf knapp 1.000 Höhenmeter liegt der heutige Luftkurort – von den Zimmern des Hotels aus erblickt man die Gipfel der Rax und des Schneebergs.

Beide Berge kennt Aberham gut, für den Hobby-Wanderer liegt der Sinn des Bergsteigens auf der Hand: „Man wollte sich die Welt von oben ansehen, das war der Urtrieb“, sagt Aberham, „und weil man dem Alltag im Tal entfliehen wollte, was auch noch heute so ist.“ Womit Aberham einen wichtigen Punkt anspricht, der sich Sigmund Freud, dem Begründer der Psychoanalyse, während seines Sommerfrische-Aufenthalts auf der Rax offenbarte: Wenn man in die Berge geht, dann lässt man das Alltägliche hinter sich und die Gedanken öffnen sich. „Besonders gut geht das auf den unzähligen Spazier- und Wanderwegen am hügeligen Semmering“, sagt Aberham. Und wer noch weiter oder höher gehen will, der geht einfach den gesamten Alpenbogen, empfiehlt Aberham. Den „Wiener Alpenbogen“ wohlgemerkt.

Ein Wechselbad der Gefühle

Was der gipfelüberschreitende Weitwanderweg über Rax, Schneeberg und Co. mit der Sinnsuche zu tun hat, kann wiederum Peter Groß erklären: „Beim Weitwandern hat man viel Zeit zum Nachdenken, zwangsläufig wird die Frage auftauchen: Warum tue ich das?“. Deshalb ist es wichtig, dass man „aus freien Stücken wandert“, wie Groß sagt, aus einer intrinsischen Motivation heraus also. Und damit der Eigenantrieb nicht schnell im Nichts verpufft, sollte man das große Ganze in ein vielfach Kleines, beim Wandern also in Tages- oder Zwischenetappen, zerlegen. Andernfalls läuft man Gefahr, an der Frage und Gesamtaufgabe zu zerbrechen: „Weil sonst die gesamte Tour zu lang oder der nächste Gipfel zu hoch erscheint“, sagt Bergführer Groß, „und dann macht schnell alles keinen Sinn mehr.“

Auch Ex-Hotelier Aberham kennt dieses Gefühl. Selbst wenn er sich nicht als „Weitwander-Experten“ bezeichnet, denkt er beim Bergsteigen oft bloß an den nächsten Schritt und „saugt die Natur in vollen Zügen auf. Dann spürt man wieder, warum man hier ist und in die Berge geht.“ Und wenn man dann den Gipfel erreicht hat und wieder sicher zuhause angekommen ist, wird man feststellen, dass sich etwas verändert hat: „Man hat ein Ziel erreicht, das nicht alltäglich ist, und es erschleicht einen das Gefühl, über den Dingen zu stehen“, sagt Aberham. Natürlich wird diese Erhabenheit nicht ewig währen, aber sie ist sinnstiftend. Und führt folglich dazu, dass es einen wieder und wieder in die Berge zieht.

Solange die Berge stehen

Die Frage nach dem Sinn des Bergsteigens wird es geben, solange die Berge stehen. Entscheidend ist bloß, dass man keine Angst davor hat, sich ihr zu stellen. Denn mit der Angst in den Bergen ist es ganz ähnlich: Sie ist omnipräsent. Und doch setzen wir uns ihr immer wieder aus. Warum dem so ist? Das hat der Begründer der Logotherapie und von den Bergen faszinierte Professor Viktor Frankl einst erklärt: „Man muss sich ja nicht alles von sich gefallen lassen. Man kann auch stärker sein als die Angst." Insofern ist Bergsteigen überaus sinnvoll, weil es ein gutes Training für die Suche nach dem Sinn im Leben ist.