Jedem Keller sein Charakter

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Drei Schwestern, drei Keller, drei Wege, ein Hang: Wandern entlang des 3-Schwestern-Weges im Weinviertel.

Auf den ersten Blick sind sie grundverschieden, die drei Schwestern des Weinviertels. Und doch gibt es – wie in jeder Familie – Gemeinsamkeiten, die erst auf den zweiten Blick zutage treten. Neben dem Wein verbinden die drei Ortschaften drei Kellergassen und: ein Weg.

Der 3-Schwestern-Weg führt auf 23 Kilometern durch Rebhänge, zu langen Alleen, den wohl schönsten Kellergassen und drei Weinorten, die wie Schwestern sind: von der prickelnden Poysdorferin über die etwas verruckte Herrnbaumgartnerin zur romantischen Falkensteinerin. Drei Winzerinnen nehmen Sie ein Stück weit mit, führen durch ihre liebste Kellergasse und erzählen Geschichten, die von Tradition wie Umbrüchen und von Ankunft wie Aufbruch handeln. Kommen Sie mit!

Winzerin Monika Neustifter erzählt über den Radyweg in Poysdorf

Manchmal, wenn Monika Neustifter den Radyweg entlang spaziert, denkt sie an ihre Kindheit. An die Tage unter dem dichten Blättergewölbe, das aussah wie ein Märchentunnel. Oder daran, wie sie Abkühlung in den Kellern fand. Heute, fast 30 Jahre später, hat sich viel getan in ihrem Leben, doch der Radyweg zählt noch immer zu ihren Lieblingsorten. Bevor man in die Kellergasse biegt, rät Monika Neustifter zu einem Besuch im Vino Versum. Hier erfährt man Spannendes über die Geschichte der Region und auch, wieso Poysdorf die heimische Sekthochburg ist: Der kalkhaltige Lössboden der Umgebung eignet sich hervorragend für charakterstarke Schaumweine.

Wer das Ortsgebiet von Poysdorf über den Radyweg verlässt, wird schon bald die Buschenschank Radykölla erreichen. Serviert werden dort, neben dem Poysdorfer Wein, Speck und Schinken aus der Selchkammer. Wer lieber ungestört rastet, folgt dem Weg ein paar Meter über die Steigung bis zu einem Holzbankerl. Hinter der grünen Kellertüre verbirgt sich die Kellerrast, ein Selbstbedienungskeller des Weingutes Neustifter. Gleich nebenan befindet sich eine freie Parzelle, an der die Lösswand zum Vorschein kommt. Monika Neustifter verweilt gerne hier: „Man kann mit dem Finger Figuren in die feuchte Erde ritzen und dabei zusehen, wie der Sand zerbröselt.“ Überhaupt spielt der Lössboden im Weinbau und ganz besonders für die Kellergassen eine große Rolle. Dank seiner feucht-sandigen Konsistenz konnten die Weinkeller vergleichsweise einfach gegraben werden.

Wer dem Radyweg über die Steigung weiter bis zum letzten Keller folgt, erreicht einen Picknick-Platz: Auf einer Anhöhe gelegen laden Tische und Hängematten zum Verweilen ein. Monika Neustifter rät, im Frühling vorbei zu schauen: „Es gibt keinen schöneren Ort, um der Natur beim Erwachen zuzusehen.“

Winzerin Irene Tagwerker erzählt über die Schindergasse in Herrnbaumgarten

Wenn Irene Tagwerker ans Ende der Schindergasse spaziert, kommt sie an einen Ort, an dem vieles plötzlich verschwindet: die Hektik, der Alltag, ja manchmal sogar die Zeit. Ein Ort, der sich bestens für eine Rast eignet und an dem man besser etwas mehr Zeit einplanen sollte. Aber der Reihe nach: Wir starten im Ortsgebiet in Herrnbaumgarten, genauer gesagt vor dem Nonseum. Das Nonseum ist ein einzigartiges Museum, das Unsinnigkeiten wie Notenständer für Singvögel oder automatische Nasenbohrer zeigt, und Herrnbaumgarten den Ruf der etwas „verruckten“ Schwester einbrachte. Wenn man den Vierkanthof, in dem sich auch das Küchenmuseum und die verruckte Vinothek befinden, verlässt, findet man linker Hand den Weg in die Schindergasse.

Für Irene Tagwerker, einer zuagrasten Herrnbaumgartnerin, zählt diese Gasse zu den schönsten und vor allem zu den außergewöhnlichsten Kellergassen überhaupt. Sie ist tief in die Lössberge eingegraben und die Presshäuser schmiegen sich sanft an den lehmigen Hohlweg. Auf 350 Metern findet man ein buntes Gemisch aus gemauerten Kellereingängen, verwachsenen Fassaden und liebevoll renovierten Presshäusern. Am Beginn der Kellergasse befindet sich auf der rechten Seite die erste Möglichkeit der Einkehr: der wein.keller.sporr. Der gemütliche Heurige wird von der Großfamilie Sporr geführt und ist vor allem für seine ausgezeichnete Hausmannskost bekannt.

Nach ein paar Schritten kommt man bei der Mariengrotte vorbei, ein durchaus identitätsstiftendes Denkmal in Herrnbaumgarten, das Ende der 70er-Jahre mit Hilfe der Einwohner:innen errichtet wurde. Nun wird die Gasse zunehmend steiler, was sich durchaus in den Waden der Wandernden bemerkbar macht. Ein Umstand, dem die Kellergassen womöglich ihren Namen zu verdanken hat: Einer Überlieferung zufolge mussten sich Kühe und Pferde nämlich stark schinden, wenn sie die schweren Wägen über die steile Gasse zogen. Wer weitergeht und einen Blick auf die linke Seite wirft, entdeckt hinter dem dichten Laub der Akazienbäume vielleicht die Höhlen im lehmigen Boden. Vor ungefähr hundert Jahren hausten darin tatsächlich ganze Großfamilien, die meisten von ihnen Tagelöhner, die von der Arbeit am Feld und in den Weinrieden lebten.

Von hier aus geht man im dichten Baumschatten auf das Ende der Schindergasse zu und kommt zugleich an den Lieblingsplatz von Irene Tagwerker. Links befinden sich die Weingärten, aus denen man zur richtigen Jahreszeit ein paar süße Trauben naschen kann. Auf der rechten Seite liegt diese weite, grüne Wiese, auf der sich plötzlich ein einmaliger Ausblick über Wälder, Felder und Herrnbaumgarten auftut. Irene Tagwerker rät, sich hier oben ein wenig Zeit zu nehmen. Weil wer weiß, vielleicht verschwindet sie ja.

Winzerin Irene Luckner erzählt über die Oagossn in Falkenstein

In den Kellergassen rund um Falkenstein reifte nicht nur Wein heran, sondern auch ein ganz besonderes Lebensgefühl: die Weinviertler Geselligkeit. Die Winzerin und Falkensteinerin Irene Luckner kennt das nur zu gut – das Zusammenkommen, gemeinsame Essen und Trinken, Feiern und Singen, diese Ausgelassenheit, die inzwischen genauso zum Weinviertel gehört wie das Winzertum selbst.

Wer hart arbeitet, sagt Irene Luckner, sehnt sich nach Austausch und Heiterkeit. Kellerstunde nannten das die Winzer:innen damals, wenn man in den Kellergassen beisammensaß und bei einem Glas Wein über das Leben sprach. Heute zeigt sich die Geselligkeit vor allem in Verkostungen, offenen Kellertüren und: den Wein- und Kellergassenfesten des Weinviertels. Eines der schönsten findet alljährlich im Spätsommer in der „Oagossn“ (Eiergasse) statt. Zum Festauftakt erstrahlt die gesamte Kellergasse im Kerzenlicht, an den Folgetagen tischt jede Winzerfamilie ihre ganz persönlichen Hausspezialitäten auf und natürlich fehlt es nicht an Wein. Aber auch abseits der großen Veranstaltungen bestimmt die Heiterkeit das Lebensgefühl in der Oagossn. Wie belebt die Kellergasse ist, erfährt man auf den ersten Metern, wenn man von der Marktstraße Falkenstein einbiegt. 

Nach einer Kurve wird die enge Gasse von zwei bunten und liebevoll restaurierten Kellerzeilen flankiert. Nur ein paar Meter weiter findet man zwei ortstypische Heurigenbetriebe, die neben ausgezeichneten Brettljausen und Weinen vor allem für ihre stimmungsvolle Atmosphäre bekannt sind. „Wenn ausg’steckt is‘“, rät Irene Luckner, „sollte man möglichst hungrig in die Oagossn kommen, damit einem keine der Spezialitäten entgeht.“ Allzu lange sollte man aber dann doch nicht sitzen bleiben. Am Ende der Oagossn, deren Name auf die Eihändler zurückgeht, wartet nämlich ein Kunstwerk: ein überdimensionales, verspiegeltes Ei, das über der Kellergasse thront, als wolle es sich das Spektakel von oben ansehen.