Großes Potential auf kleiner Fläche
Merkliste aufrufen merkenDer Wagram als guter Boden für innovative Kulinarikideen.
Innovative Lebensmittelhandwerker:innen setzen am Wagram mit kreativen und nachhaltigen Ansätzen neue Maßstäbe und zeigen das vielversprechende kulinarische Potenzial der Region. Bei unserem Besuch von drei Betrieben haben wir spannende Ansätze entdeckt, wie köstliche Lebensmittel auf begrenztem Raum hergestellt werden können. Kleine Fläche, großer Geschmack sozusagen:
Im Löss sprießen die Schwammerl
In den dunklen Gewölben eines ehemaligen Weinkellers in der Absdorfer Kellergasse ist die „Wagramer Austernpilze“ von Martin Schmit beheimatet. Über 28 Meter erstreckt sich der feucht-kühle Keller. Vor 145 Jahren wurde er mühevoll von Hand in den Lössboden gegraben. Dort, wo einst Wein gelagert wurde, herrschen beste Bedingungen für den Anbau von Edelpilzen. „Die konstante Temperatur und die hohe Luftfeuchtigkeit bieten die perfekte Umgebung für eine Vielzahl von Pilzsorten“, sagt Martin. Der Pilzzüchter hat sich vor einigen Jahren auf Austernpilze, Shiitake-Pilze und Kräuterseitlinge spezialisiert: „Begonnen habe ich nur mit Austernpilzen, aber heute begeistert mich der Shiitake-Pilz besonders: Er gilt als der gesündeste Pilz der Welt.“ Sein Pilzsubstrat bezieht Martin von einem niederösterreichischen, bio-zertifizierten Pilzzucht-Betrieb – ab dann gedeihen die Edelpilze unter Martins Obhut im Lösskeller. Sechs, ja manchmal sogar sieben Tage die Woche ist er hier in der Kellergasse beschäftigt, um seine Pilze zu versorgen und zu ernten.
Fasziniert ist er insbesondere von der Vielseitigkeit der Pilze in der Küche: Pasta mit gebratenen Spargelspitzen und Shiitake-Pilzen, Schwammerlgulasch mit allen drei Pilzsorten, Shiitake-Pilze mit Schmelzkäse überbacken – die passenden Rezeptideen von Martin gibt’s nicht nur für uns, sondern auch für seine Kund:innen am Kirchberger Naschmarkt, wo er jeden Samstag von Mai bis Oktober steht. Oft kommen die Kund:innen auch direkt zur „Schwammerl-Greißlerei“ in der Absdorfer Kellergasse. Dort warten die Pilze nach einem kurzen Anruf erntefrisch im urigen Verkaufsraum mit der 150 Jahre alten Baumpresse. Freilich sind Martins Pilze auch in der regionalen Gastronomie eine willkommene Zutat: „Theresia Mann vom Königsbrunner Landgasthof Mann war von Anfang an begeistert von unseren Pilzen und hat sie regelmäßig auf der Karte“, erzählt Martin. Ein Glück für uns, dass Königsbrunn und den Landgasthof Mann nur wenige Fahrtminuten entfernt sind, denn nach den vielen Rezeptideen sind wir definitiv auf den Gusto gekommen.
Ein Marktgarten in jedem Dorf am Wagram
„Meine Vision für 2035 ist, dass es in jedem Dorf am Wagram einen Marktgarten gibt“, sagt Alfred Grand. Der Bio-Bauer hat in seinem 7.000 Quadratmeter großen "Grand Garten" in Absdorf am Wagram einen Gemüse-Betrieb nach dem Modell der Marktgärtnereien geschaffen. Dabei wird auf verhältnismäßig kleinem Raum bio-intensiver Gemüseanbau betrieben. Alfreds Team arbeitet hauptsächlich handwerklich und verwendet nur einfache technische Hilfsmittel. Diese Herangehensweise ermöglicht es, die Beete dichter zu bepflanzen und auch die Zwischenräume für Kräuter zu nutzen. „Der Schmäh bei der Marktgärtnerei ist die schnelle Rotation“, sagt Alfred. „Wir können auf jedem Beet drei- bis viermal im Jahr anbauen und ernten.“ Auf Pestizide und Düngemittel verzichtet er komplett. Entscheidend sei nämlich ein gesunder, aktiver, humusreicher Boden, wie Alfred erklärt.
Seit über 20 Jahren beschäftigt er sich mit der Komplexität und Gesundheit des Ackerbodens. „Ich sage immer, ich wurde von Regenwürmern ausgebildet“, erzählt er und lacht. Regenwürmer produzieren den so wichtigen Humus. Als Alfred die gemischte Landwirtschaft seiner Eltern übernimmt, stürzt er sich intensiv in das Thema Wurmkompostierung und absolviert Studienreisen in die USA. Er liest viel und experimentiert parallel auf seinem Bio-Ackerbaubetrieb. Seine Begeisterung für einen gesunden Boden und sein fundiertes Wissen machen ihn heute zu einem gefragten Experten, der auch international große Anerkennung erfährt. Regelmäßig arbeitet er mit Universitäten im In- und Ausland zusammen und ist in EU-Gremien ein geschätzter Gesprächspartner, weil er der Forschung die so wichtigen Einblicke in die Praxis liefert.
Mit seiner Marktgärtnerei versorgt Alfred nicht nur knapp 200 Haushalte wöchentlich mit Bio-Gemüse im Kistl, sondern ist auch „Forschungsbauernhof“ für Wissenschafter:innen und Studierende aus der ganzen Welt, die regelmäßig hierher kommen. Sein „Grand Garten“ soll ein Best-Practice-Beispiel für die ganze Region sein. Alfred ist überzeugt, dass Marktgärtnereien eines der zukunftsfähigsten Modelle für die Landwirtschaft und die regionale Versorgung mit Lebensmitteln sind: Durch ihre kleinen Strukturen seien sie flexibler in der Anpassung an den Klimawandel, würden den Boden regenerieren und nicht nur gesundes Gemüse produzieren, sondern zusätzlich noch wertvolle Arbeitsplätze am Land schaffen. Die Region Wagram biete dafür die besten Voraussetzungen: „Der Wagram ist prädestiniert für Gemüse-Anbau in Marktgärten. Wir sind ein bisschen im gelobten Land. Wir haben gute, fruchtbare Böden und ein angenehmes Klima. Im Winter genügen unbeheizte Folientunnel aus, um Wintergemüse anzubauen. Das ist schon sehr spannend“, sagt Alfred. Zudem ist er davon überzeugt, dass damit auch eine höhere Versorgung mit Bio-Lebensmitteln möglich ist: „Weil es oft heißt, nur Bio könne die Welt nicht ernähren. Klar, mit einer Kultur auf einem Feld in einem Jahr ist das nicht machbar, aber mit der Vielfalt in einer Marktgärtnerei geht das auf jeden Fall.“ Die Dichte an Bio-Gemüsebetrieben am Wagram, wie zum Beispiel die solidarische Landwirtschaft von Rudi Hoheneder in Oberstockstall, der Hof von Claudia und Toni Eckart aus Engelmannsbrunn oder die Marktgärtnerei „Dirndln am Feld“ von Sarah Schmolmüller und Bianca Rabel, zeigt jedenfalls, dass viele das Potenzial des Wagrams für den Gemüseanbau bereits erkannt haben. Erhältlich sind die Produkte u.a. im Biobauernladen Absdorf oder am Kirchberger Naschmarkt.
Wilde Fermente mit saisonalem Gemüse
Die Fülle an regionalem Bio-Gemüse vom Wagram über die Saison hinaus zu bewahren, gelingt Greti Mayer und Rosi Winter im „Fermentarium“ in Oberstockstall. Begonnen mit „Fermentarium“ hat die ausgebildete Lebensmitteltechnologin Greti einst in der solidarischen Landwirtschaft von Rudi Hohenender auf Gut Oberstockstall. Dort lernte sie Rosi kennen, die viele Jahre in der Küche des Restaurants gearbeitet hatte. Als Rosi in Pension geht, wandeln die beiden „Fermentarium“ zu einem Kulturverein um – mit der Mission, Wissen rund um Fermentation weiterzugeben. „Wir wollen eine Brücke zwischen Menschen und Mikroben schaffen“, sagt Greti. „Wir müssen wieder näher rankommen an die Mikroben, denn sie sind Teil unseres Lebens.“
Für Greti ist Fermentation die „schöne Schwester des Verrottens“, eine traditionelle Methode, um Gemüse über die Saison hinaus haltbar und genießbar zu machen. In ihrer kleinen Küche verarbeiten Greti und Rosi überschüssige Sommerfrüchte und -gemüse, aber auch leicht angeschlagene oder optisch nicht ganz perfekte Exemplare. Zero Waste lautet das Motto beim Fermentieren. Wichtig ist den beiden, nur mit „wilden Fermenten“ zu arbeiten, also Mikroben, die natürlicherweise in der Umgebung vorkommen. „Sie sind wie ein einzigartiger Fingerabdruck in fermentierten Lebensmitteln, weil sie an unsere Umgebung, an unser Klima angepasst sind, nicht aus dem Labor kommen und keinem standardisierten Geschmack folgen.“ Mikroben seien nämlich ein ebenso wichtiger Teil unserer Biodiversität wie alle anderen Pflanzen und Lebewesen, ist Greti überzeugt. Wir kosten milchsauer-fermentierten Topinambur und Rettich, probieren Kombucha, ein fermentiertes Tee-Getränk, und Tepache, ein fermentiertes Ananas-Getränk aus Mexiko. Auf Rosis frisch gebackenem Weizen-Roggen-Sauerteigbrot („Sauerteig besteht aus wilden Hefen.“) versuchen wir einen Aufstrich aus fermentierten Sonnenblumenkernen. Für Greti geht es jedoch nicht nur um den Geschmack, sie ist auch von den gesundheitlichen Vorteilen fermentierter Lebensmittel überzeugt: „Du musst spüren, was das Produkt mit dir macht“, sagt sie.
Gretis und Rosis fermentierte Produkte gibt’s zum Mit-nach-Hause-Nehmen in der Wagramhütte in Mitterstockstall und in der Voll-Wert-Voll-Hütte von Claudia Eckart in Engelmannsbrunn. Ebenso gerne wie ihre Produkte im Glas möchten Rosi und Greti ihr Wissen weitergeben. In ihren regelmäßig stattfindenden Fermentationsworkshops laden die beiden ein, mehr über diese uralte Kulturtechnik zu erfahren, denn: „Bei Fermentation geht es nicht nur um das Teilen von Gemüse im Jahreskreis, sondern auch um das Teilen von Wissen über Generationen hinweg.“