(Kultur-)Geschichten aus dem Wienerwald
Seit Jahrhunderten schon ist der Wienerwald Sehnsuchtsort der Avantgarde und der Mächtigen ihrer Zeit. Wir verraten, wo man ihre Geschichte(n) erleben kann.
Die einen versprachen sich Inspiration in der Natur, die anderen fanden im Wienerwald einen Rückzugsort, andere wiederum frönten der hier so beliebten Sommerfrische. Und doch ist die Region weit mehr als ein historisches Naherholungsgebiet, hier wurde und wird Kulturgeschichte geschrieben: Mit dem Stift Klosterneuburg errichteten die Babenberger ihr geistiges Zentrum; das Schloss Laxenburg zeugt von Gartenkunst und kulturhistorischem Bewusstsein der Habsburger; und in Maria Gugging wurde der Grundstein für die Art Brut, einer inzwischen weltbekannten Kunstrichtung, gelegt. Zu guter Letzt holt das zeitgenössische Fotofestival La Gacilly Baden Photo seit einigen Jahren diese historische Region in die Gegenwart.
Stift Klosterneuburg
Von Jahrhunderte alten Skulpturen und Fresken, über mittelalterliche Baukunst bis hin zu den Wurzeln des ersten Herrscherhauses Österreichs: Wer die Stiftskirche von Stift Klosterneuburg über das schwere Holztor betritt, macht zugleich eine Zeitreise, die einen fast 1.000 Jahre in die Vergangenheit blicken lässt. Hier, auf dem Hügel von Klosterneuburg, begann der Aufstieg der Babenberger, hier sollte der wichtigste Treffpunkt der herrschenden und geistigen Elite sein. Im Jahr 1113 verlegte Markgraf Leopold III. seine Residenz nach Klosterneuburg und veranlasste den Bau der imposanten Klosteranlage. Einer Legende nach sollte es exakt an jener Stelle errichtet werden, an der Leopold III. den verlorenen Brautschleier seiner Gattin völlig unversehrt wieder gefunden hatte. Jedoch war das Kloster nicht nur geistliches, sondern auch künstlerisches wie wissenschaftliches Zentrum: Immerhin befinden sich mehr als 140.000 Bücher in der Stiftsbibliothek, darunter etliche Handschriften aus den vergangenen Jahrhunderten. Der Stiftschatz ist eine der bedeutendsten Sammlungen sakraler Kunst in Europa und umfasst eine Vielzahl an Kunstwerken aus Gold und Edelsteinen.
Schloss Laxenburg – Franzensburg
Im Stil des Historismus erbaut, beherbergt die Franzensburg alles, was eine Ritterburg ausmacht: Schlosskapelle, Rittersäle, Gemächer, Waffenhallen und einen Turnierplatz, auf dem regelmäßig Ritterspiele stattfanden. Was hingegen fehlte: die Ritter. Kein einziger war jemals in der Franzensburg gewesen, historisch gesehen fiel der Bau der Franzensburg nämlich in eine andere, wesentlich spätere Epoche – sie wurde nicht im Mittelalter, sondern Anfang des 19. Jahrhunderts als „Gartenhaus in Gestalt einer gotischen Burgveste“ errichtet. Genau genommen ist die Franzensburg, also keine Ritterburg. Sie gilt vielmehr als Krönung der gartenkünstlerischen Gestaltung des Schlossparks Laxenburg und zeugt auch vom historischen Interesse des Kaisers. Kunsthistorisch wertvoll ist sie dennoch: Größte Teile der Bausubstanz wurden nämlich von Schlössern und Klöstern im gesamten Habsburgerreich gestiftet. Heutzutage lädt der Schlosspark auch als romantische Gartenkulisse ein – vom Teepavillon bis zur Bootsfahrt.
Art Brut
"Die echte Kunst ist stets dort, wo man sie nicht erwartet. Wo niemand an sie denkt, noch ihren Namen nennt“, sagte einst der Schweizer Künstler Jean Dubuffet und meinte damit die Kunstwerke der Art Brut. Art Brut ist eine inzwischen weltbekannte Kunstrichtung, die ihre Wurzeln in der ehemaligen Nervenheilanstalt in Maria Gugging hat. Johann Hauser, August Walla, Oswald Tschirtner sind nur einige der namhaften Künstler:innen aus Gugging, deren Werke Einzug in die bedeutendsten Museen fanden. Gefördert wurden sie in den 1950er Jahren von Leo Navratil, Psychiater in der Nervenheilanstalt Maria Gugging, der Kunst erst als Therapiezweck nutzte und alsbald die Begabung einiger Patient:innen entdeckte. Art Brut bedeutet zu Deutsch „rohe Kunst“ und betont die unkonventionellen, intuitiven und oft auch autodidaktischen Schaffensprozesse dieser Künstler:innen. Sie umfasste das Schaffen einer inoffiziellen Kunstszene, die oftmals aus gesellschaftlichen Außenseiter:innen, darunter auch psychisch Kranken, bestand. Bis heute ist Maria Gugging wichtiges Zentrum der Kunstrichtung. Das Museum Gugging zeigt neben dem Œuvre der Kunstschaffenden aus Gugging internationale Art Brut sowie andere Werke mit einer eigenwilligen Formensprache. Der Kunstraum Maria Gugging war darüber hinaus Inspirationsquelle für zahlreiche Künstler:innen, darunter sind neben Weltstar David Bowie und Literat Gerhard Roth auch Arnulf Rainer, Peter Pongratz, Johann Rausch, und die Fotografin Christine de Grancy, die Bowie in Gugging begleitet hat. Ihnen ist auch die aktuelle Ausstellung im Museum Gugging gewidmet.
In 1.500 Bildern durch Baden
Auch diesen Sommer verwandelt sich Baden wieder in das Zentrum der Fotografie: In 1.500 Bildern kann man durch die Linsen der weltbesten Fotograf:innen blicken. Alljährlich von Juni bis Oktober hält das Festival La Gacilly-Baden Photo, das größte Outdoor-Fotofestival Europas, Einzug in die niederösterreichische Kulturstadt. Ausgehend vom Besucherzentrum am Brusattiplatz erstreckt sich die Ausstellung auf sieben Kilometer. Dabei verwandeln sich Parks, Gärten sowie die Altstadt in ein spektakuläres Freilichtmuseum. Das diesjährige Motto „ORIENT!“ holt renommierte Fotograf:innen aus dem Iran, Afghanistan und Pakistan vor den Vorhang. Regionen, die nicht nur auf eine Jahrtausende alte Kulturgeschichte zurückblicken können, sondern sich auch durch eine eigene Bildersprache auszeichnen. Baden zeigt die Festivalbilder ein Jahr nach der französischen Stadt La Gacilly. Die Zusammenarbeit der beiden Städte besteht seit 2018 und ist der Freundschaft zwischen Jaques Rocher, Kunstliebhaber und Initiator des La Gacilly Festivals, und Lois Lammerhuber, dem renommierten österreichischen Fotografen zu verdanken.
Ein Sommer, unendlich viele Eindrücke
Von Kino, über Open-Air-Konzerten, Kabarett und Theater bis hin zur klassischen Operette – der Kultursommer Wienerwald zählt wohl zu den spannendsten Kulturprogrammen überhaupt. Mit mehr als 19 Spielorten und 23 Premieren, darunter in Theatern wie Berndorf und Baden, dem Schlosspark Laxenburg oder im Bunker in Mödling und natürlich in Perchtoldsdorf verwandelt sich der Wienerwald auch in diesem Sommer wieder in eine Bühne hochkarätiger Schauspielkunst. Wem die Sommerhitze zu viel ist, der findet in den Badener Museen nicht nur Abkühlung, sondern auch reichlich Kultur, etwa die „Aufbauen Abbaden“-Ausstellung im Kaiserhaus oder das Arnulf-Rainer-Museum, das mit „Duette-Duelle“ Facetten des künstlerischen Dialoges zeigt. Und mit dem renommierten Fotofestival La Gacilly Baden Photo wird Baden auch diesen Sommer wieder Zentrum der Spitzenfotografie.
Wer mehr über Sommerfrische erfahren möchte, der sollte sich die Führung durch die Neuhaus, einst bekannt als die „Perle des Wienerwalds“, nicht entgehen lassen. Bei einem Spaziergang durch Berndorf und das Triestingtal kommt man nicht nur an historischen Architekturjuwelen, sondern auch an dem ein oder anderen „Lost Place“ als Zeitzeuge vorbei.