Rund um Payerbach, Reichenau/Rax
Merkliste aufrufen merkenWo alte Rezepturen eine kulinarische Renaissance erfahren und die Kraft wilder Kräuter die Küche der Wiener Alpen prägt.
Im Alpenstrandbad Edlach starten wir entspannt in unseren Tag in der Sommerfrische. Dank einer Gast-Mitgliedschaft können wir den Vormittag am Pool verbringen. Denn das historische Alpenstrandbad ist ein Verein und wird von seinen rund 700 Mitgliedern erhalten. Erstmals 1928 eröffnet und aufgrund seines aufgeschütteten Sandstrandes „Alpenstrandbad“ genannt, wurde es im Jahr 2020 von Johannes Ribeiro da Silva und Tatjana Sindelar als gemeinnütziger Verein wieder wachgeküsst. „Mir liegt meine Heimat Reichenau sehr am Herzen. Es ist mir wichtig, dass bestimmte Orte erhalten bleiben – vor allem auch in ihrer ursprünglichen Architektur“, sagt Johannes Ribeiro da Silva, Unternehmer, Gemeinderat und überzeugter Reichenauer. „Reichenau hat eine entschleunigende Wirkung. Vieles hier fühlt sich an wie eine Zeitreise; alles ist langsamer und gemütlicher“, sagt er. Ein Glück, dass dank Gäste- und Schnupper-Mitgliedschaften auch Gäste aus nah und fern in den Genuss des historischen Strandbades kommen können.
Gehobene Küche im Alpenstrandbad: das Kornried
Mittags werden wir im zugehörigen Restaurant „Das Kornried“ von Matthias Weinzettl und Clarissa Chroma kulinarisch verwöhnt. Zahlreiche Zufälle führten dazu, dass die beiden die Gastronomie des Bads übernahmen. „Jedem in der Region liegt das Bad am Herzen“, sagt Clarissa. „Als Kinder haben wir unsere Sommer hier verbracht und sind jeden Tag mit dem Fahrrad hergefahren.“ In ihren beiden Familien drehte sich schon immer alles um das Thema Essen und Kochen. Als sie die mit dem „Kornried“ starten, wollten sie mehr als nur die üblichen Freibad-Snacks wie Pommes und frittierte Speisen anbieten. Von Montag bis Mittwoch steht rein vegetarische Küche auf dem Speiseplan; die selbstgemachten Falafel sind ein Bestseller. Auch die hausgemachten Suppen und Curries sind bei den Mittagsgästen bliebt. Matthias, dessen Großvater in Reichenau eine Landwirtschaft betrieb, legt besonders großen Wert auf die Herkunft der Produkte. Wo immer es möglich ist, werden diese direkt von regionalen Produzent:innen bezogen, etwa das Rindfleisch oder die Eier von Erwins Bio-Bergbauernhof in Reichenau an der Rax.
Silva Verjus – der Drink zur Sommerfrische
Ebenfalls auf der Karte des „Kornried“ findet sich SILVA der Verjus Drink, den Johannes Ribeiro da Silva seit 2016 in Reichenau produziert. Damals stieß er auf ein altes Kochbuch der Köchin des Schriftstellers Heimito von Doderer. Wie viele Wiener:innen verbrachte auch Doderer seine Sommerfrische an der Rax.
In dem Kochbuch entdeckte Johannes ein Rezept für ein Getränk aus dem Saft unreifer Trauben, der mit Wasser aufgespritzt wurde. Er begibt sich auf eine Spurensuche nach der Herkunft des Getränks – und stellt fest, dass es eine jahrhundertealte Tradition hat. Bereits im 11. Jahrhundert soll im nahegelegenen Stift Gloggnitz Weinbau betrieben worden sein, allerdings nur mit mäßigem Erfolg. Die klimatischen Bedingungen ließen nicht immer zu, dass die Trauben vollständig ausreiften. Daher wurde der Saft der unreifen Trauben mit Zucker, Alkohol und Wasser versetzt, um ihn genießbar zu machen – der Verjus war geboren. Heute stellt Johannes das traditionsreiche Getränk unter dem Namen „SILVA - der Verjus Drink“ her und möchte mit jedem Schluck das Lebensgefühl der Sommerfrische von damals vermitteln. „Am besten schmeckt er bei sommerlichen 30 Grad, eisgekühlt und mit den Füßen im Wasser“, sagt er.
Das Bier zum Berg: Raxbräu
Wasser ist auch das Stichwort für unseren nächsten Stop. Seit dem 19. Jahrhundert wird Wien mit hochwertigem Trinkwasser aus Quellen im Rax- und Schneeberggebiet versorgt. Dieses Wasser ist auch die wichtigste Grundlage für die Biere von Alexander Hauser und Nikolaus Sindelar. Das Onkel-Neffe-Duo hat die Bierbrauerei „Raxbräu“ vor wenigen Jahren von Gründer Franz Gerhofer übernommen und erweitert. Da die Nachfrage die Produktionskapazitäten am ursprünglichen Standort in Payerbach bereits überschritten hat, ist derzeit eine neue Brauerei samt Gastronomie am Fuße der Raxseilbahn in Bau. „Wir wollen unser Bier so nachhaltig wie möglich herstellen“, betont Nikolaus. Der gelernte Maschinenbauer unterstützte seinen Onkel zunächst bei der Technik der Brauanlage, fand jedoch zunehmend Gefallen am Thema Bier und stieg schließlich voll ins Brauereigeschäft ein.
„Mich fasziniert das Zusammenspiel aus Technik und biologischen Prozessen“, erklärt er. Um uns gleich mehr über die durchdachte Technik der neuen Brauerei zu erzählen: Das neue Brauhaus wird mit einer Hackschnitzelheizung beheizt – „Bäume gibt es in der Region genug“ – und der Strom stammt aus der Photovoltaikanlage auf dem Dach. Die Abwärme aus dem Kühlhaus wird zudem zum Heizen weiterverwendet. Gebraut wird ausschließlich mit Bio-Zutaten. „Das gibt mir ein besseres Gefühl“, meint Alexander, der das Bier in Kürze sogar Demeter zertifizieren lassen will. Nach vielen Jahren im Ausland hat er sich wieder auf seine Heimat Reichenau besonnen und betreibt in Edlach auch eine kleine Landwirtschaft. Ähnlich hohe Ansprüche stellt er an die neue Gastronomie im Brauhaus. „Es soll eine einfache Gastronomie sein, jedoch mit herausragenden Grundprodukten aus biologischer Landwirtschaft“, so Alexander. Auch das Bier soll möglichst pur sein: Weder filtriert noch pasteurisiert werden die beiden Hauptbiersorten, das Helle und das Schwarzataler Spezial. „Das würde zu viel vom Geschmack nehmen“, meint Alexander. „Wir möchten unsere Biere so naturbelassen wie möglich in die Flasche füllen.“ Die herausragende Wasserqualität in Reichenau macht es möglich.
Des Kaisers Zwieback: Konditorei Alber
Wir machen einen kurzen Abstecher nach Payerbach, um in der Konditorei Alber dem berühmten Reichenauer Biskuitzwieback auf die Spur zu kommen.
Seit 1873 belieferte die Familienkonditorei den k.u.k. Hochadel mit dem feinen Gebäck. Die Besonderheit liegt darin, dass der aufgeschlagene Teig direkt aufgegossen und nicht in einer Form gebacken wird, was ihm seine eigentümliche Form verleiht. Für die Herstellung werden nur vier Zutaten benötigt: Mehl, Zucker, Eier und Anis. „Früher hat jede Hausfrau in Payerbach diesen Zwieback gebacken“, erzählt Manfred Alber, der die Konditorei heute in fünfter Generation leitet. Als der Kaiser einst seine Sommerfrische in Reichenau verbrachte, kam er auf den Geschmack des Teegebäcks. Von da an wurde der Reichenauer Biskuitwieback regelmäßig an die kaiserliche Familie geliefert. Heute ist er ein beliebtes kulinarisches Souvenir und ein vortrefflicher Begleiter zu Kaffee, Tee, Wein oder Chaudeau. Vor Ort empfehlen wir, auch die Ghega-Torte mit Pistazien und Nussnougat zu probieren. An heißen Sommertagen ist das hausgemachte Eis mit echten, tiefgefrorenen Früchten ebenfalls eine hervorragende Wahl.
Wildkräuter-Workshop im Huthaus an der Rax
Von Payerbach aus führt unser Weg über Reichenau und verschlungene Waldpfade hinauf auf den Knappenberg am Fuße der Rax. Dort, inmitten der beinahe unberührten Natur der Wiener Alpen, befindet sich das Huthaus an der Rax von Caroline Haberfellner. Im Jahr 2013 hat sie das historische Gebäude, welches von Bergleuten als Wohn-, Lager- und Arbeitsgebäude genutzt wurde, gemeinsam mit ihrem Mann erworben. Errichtet im Jahr 1776, wurde es 1899 mit der Stilllegung des Bergbaus am Knappenberg ebenfalls geschlossen. Caroline hat das denkmalgeschützte Gebäude behutsam renoviert und nutzt es sowohl als privaten Wohnraum als auch als Treffpunkt für ihre Kräuter-Workshops und Kräuter-Spaziergänge am Fuße der Rax.
Wir treffen Caroline inmitten ihres üppig blühenden Kräutergartens vor dem Haus und brechen zu einem kleinen Kräuterspaziergang auf. „Es ist ein Wahnsinn, was hier alles wächst“, sagt die diplomierte Kräuterpädagogin. Entlang des Törlwegs geht es von einer Pflanzenstation zur nächsten. Immer wieder bleiben wir stehen und erfahren Wissenswertes und auch das ein oder andere Skurrile. Da wachsen Baldrian, Königskerzen, wilde Möhren, Berg-Schafgarben, Brennnesseln und geschützte Knabenkräuter. Caroline weiß über jedes Kraut Spannendes zu berichten. Sie kennt sowohl die Wirkungen, die den Kräutern in der traditionellen Kräuterheilkunde zugeschrieben werden, als auch deren Verwendungsmöglichkeiten in der Küche.
„Das Großartige ist, dass man zu jeder Jahreszeit Kräuter sammeln kann“, erzählt sie. Jede Jahreszeit hat ihre Besonderheiten. „Wenn man Kräuter erkennt und sammelt, lebt man ganz intensiv mit dem Jahreskreislauf“, sagt sie. Während im Frühling das frische Grün mit jungen Blättern und Trieben dominiert, stehen im Sommer die bunten Blüten im Vordergrund. Wenn sich das Kräuterjahr dem Herbst zuneigt, dominieren Samen und Nüsse sowie Früchte und Beeren wie Weißdorn, Schlehdorn, Holunderbeeren und Hagebutten. Doch auch die Wintermonate bieten Möglichkeiten, etwa durch das Sammeln von Wurzeln wie vom Baldrian. „Wann ich welchen Pflanzenteil ernte, hängt auch davon ab, wo die Pflanze im Jahresverlauf gerade ihre Energie hineinsteckt.“
Caroline pflückt eine Pflanze, die an ein langstieliges Gänseblümchen erinnert. „Das ist ein Berufkraut, auch Feinstrahl genannt. Es ist essbar und hat einen würzigen, pfeffrigen Geschmack. Ich verwende es gerne zum Würzen“, sagt sie. Auf unserem Weg haben noch einige weitere Wildkräuter den Weg in den Korb gefunden. Beim Ringelblumenbeet ernten wir noch ein paar Ringelblumenköpfe, die kräftige gelbe Farbakzente in Carolines Teemischungen bringen, bevor wir am Jogltisch im Huthaus Platz für eine gemütliche Kräuterjause nehmen.
Zum selbstgebackenen Brot mit Brennnesselsamen serviert Caroline einen Wildkräuteraufstrich (von dem sie uns auch das Rezept verraten hat); dazu gibt es Bärlauchkapern, hausgemachten Brennnessel-Sirup und Infused Water mit Wildkräutern und leuchtend roten Weißdornbeeren. Schließlich gibt’s noch eine Kräuter-Skriptum für zuhause – denn schließlich wissen wir ja jetzt, dass die Kräuter direkt vor der Haustüre wachsen.
Aber Achtung: Beim Kräutersammeln gilt die Handstraußregel: Sammeln darf man so viele Blumen und Kräuter, wie zwischen Daumen und Zeigefinger passen. Und freilich darf nur das gesammelt werden, was nicht unter Naturschutz steht und was man auch zu hundert Prozent erkennen kann.