Rund um Tulbingerkogel
Merkliste aufrufen merkenWo Österreichs älteste Kochbücher wie ein Schatz gehütet werden und der Wald zur reichen Tafel wird.
Frühmorgens eröffnet uns der Tulbingerkogel einen atemberaubenden Panoramablick über die Landschaft des Wienerwaldes und das Tullnerfeld. 494 Meter hoch erhebt er sich über dem Wald. Vom „Gipfel“ aus bieten sich an klaren Tagen Ausblicke auf über 300 Berge der Ostalpen, darunter der Ötscher und der Schneeberg. Vor dem Berghotel Tulbingerkogel erwartet uns bereits Artur Cisar-Erlach, passionierter Waldökologe und Wahl-Klosterneuburger. Bei der WienerWaldGenuss-Tour entführt er uns in die Welt der Aromen des Waldes und zeigt uns, wie das Holz der Bäume den einzigartigen Geschmack dieser Region prägt. Gemeinsam erkunden wir mehrere Stationen im Wald rund um das Berghotel Tulbingerkogel und gehen dabei der Geschmacksvielfalt des Wienerwaldes auf den Grund.
Ein echter Auszeit-Ort im Wienerwald ist das Berghotel Tulbingerkogel, das von Frank Bläuel in dritter Generation geleitet wird. Das charmante Hotel besticht nicht nur durch seinen Ausblick über den Wienerwald, sondern auch durch einen faszinierenden Einblick in die historische Kochbuchsammlung der Familie, die das älteste Kochbuch Österreichs enthält. In den 1950ern begann Frank Bläuels Vater auf Flohmärkten und in Antiquariaten historische Kochbücher zu sammeln und die darin enthaltenen Rezepte nachzukochen. Aus dieser Leidenschaft entstand die einzigartige Idee, die alten Rezepte beim „Diner Historique“ wieder zum Leben zu erwecken, denn: „Es macht ja keinen Sinn, Kochbücher nur im Regal stehen zu haben und nicht daraus zu kochen“, sagt Frank Bläuel. Beim „Diner Historique“ werden die Gerichte wie „Schnecken in Limonisoß“ oder „Bodin mit Schodo“ nicht in Gängen serviert, sondern in „Trachten“. Trachten deshalb, weil die Speisen wie einst im Rokoko an die Tafel getragen werden. Eine Tracht umfasst beim Diner Historique bis zu 8 Gerichte, im Rokoko um 1790 waren es sogar bis zu 12 Speisen, die gleichzeitig auf dem Tisch eingestellt wurden. Heute umfasst die Sammlung der Familie Bläuel über 300 Kochbücher aus dem Zeitraum von 1560 bis 1880. Frank Bläuel liebt es, diese Schätze für seine Gäste aufzuschlagen, daraus vorzulesen und historische Küchenbegriffe zu übersetzen.
Bei einem Blick in ein besonders altes Kochbuch, das von einer Metallklammer zusammengehalten wird, lernen wir nebenbei noch, warum es „ein Buch aufschlagen“ heißt: Im Mittelalter wurden ebendiese mit Metallklammern zusammengehalten. Mit einem Faustschlag auf den Buchdeckel, springt die Metallklammer auf und das Buch lässt sich lesen. Frank Bläuel zeigt eindrucksvoll, dass die alte Technik sogar Jahrhunderte später noch funktioniert. Das älteste Werk seiner Sammlung stammt aus dem Jahr 1560. Das Kochbuch mit dem wohl ungewöhnlichsten Namen trägt den Titel „Freywillig aufgesprungener Granatapfel“.
Vom Tulbingerkogel aus geht es über 300 Höhenmeter und kurvige Straßen hinunter ins Tullnerfeld nach Langenlebarn. Hier am Ufer der Donau führt Josef Floh seit über 30 Jahren die "Gastwirtschaft Floh". Beinahe ebenso lange nennt er auf seiner Speisekarte die Lebensmittelhandwerker:innen, mit deren Produkten er in seiner Küche arbeitet – fast alle stammen aus einem Umkreis von 66 Kilometern. Das Regionalitätsprinzip „Radius 66“ ist für Josef Floh in der Küche von großer Bedeutung: Er kreiert Gerichte, die die Vielfalt und die saisonalen Besonderheiten Niederösterreichs widerspiegeln. An diesem Frühlingstag serviert er uns zum Beispiel „Holunderblüten-Fisch“ - in Butter confierten Bio-Saibling in einer Holunderblüten-Buttersauce, Cime di Rapa und Erbsen von "Farmer Fred", den wir bereits als Alfred Grand kennengelernt haben. Wer Gusto bekommen hat, den Radius 66 weiter zu (er)schmecken, macht am besten noch im „Floh-Markt“ Halt – dort hat Josef Floh die Köstlichkeiten seiner Lieblingsproduzent:innen zum Mit-nach-Hause-Nehmen versammelt.