Über das Leben im Marchfeld
Merkliste aufrufen merkenAuf den ersten Blick mag das Marchfeld unscheinbar wirken, auf den zweiten wirds interessant. Es folgt ein kleiner Deep Dive mit einem, der sich auskennt.
Andreas Pataki ist gebürtiger Marchfelder. Die Natur hat es ihm schon als Kind angetan, die schönen Schlösser der Region aber mindestens genauso. Heute ist er Geschäftsführer von Schloss Marchegg.
Wie würden Sie einem Ortsunkundigen das Marchfeld beschreiben?
Andreas Pataki: In erster Linie flach, trocken, sonnig und windig. Das Marchfeld ist eine Riesenebene, die aber auch sehr facettenreich ist, vor allem in den Naturlandschaften. Dass bei uns Landwirtschaft ein großes Thema ist, ist durch eine berühmte Tiefkühl-Gemüse-Werbung natürlich allgemein bekannt. Wir haben hier aber auch das weltweit erste Schutzgebiet für Urzeitkrebse und mit der Weikendorfer Remise, einem Trockenrasengebiet, das älteste Naturschutzgebiet Österreichs. Zu meinen Lieblingsplätzen gehört das Naturschutzgebiet "Untere Marchauen", da war ich schon als Kind. Es gibt dort eine Storchenkolonie und sehr viele seltene Vogelarten, also immer etwas zu beobachten.
Wie hat sich das Marchfeld im Laufe der Zeit verändert?
In meiner Kindheit war das Marchfeld durch den Eisernen Vorhang abgegrenzt, da hat sich kaum jemand herverirrt. Die Schlösser waren teilweise in einem desolaten Zustand, das hat sich zum Glück geändert. Nach dem Wegfall des Eisernen Vorhangs lagen wir auf einmal zwischen Wien und Bratislava und nicht nur im Hinterland. Und dann hatten wir im Schloss Marchegg 2022 die Landesausstellung, die der Region einen enormen Aufschwung und Bekanntheitsschub gebracht hat.
Sie haben eine Storchenkolonie erwähnt. Um welche handelt es sich?
Wir haben in den Marchauen Mitteleuropas größte baumbrütende Weißstorch-Kolonie und in der Zwischenzeit auch sehr viele Storchenhorste, sowohl in der Ortschaft als auch am Schloss direkt. Die Population steigt bei uns, weil der Storch immer weiter aus dem Wald rausgeht. Wir hatten im Vorjahr knapp 80 Altvögel mit über 100 Jungvögeln, also einen sehr guten Bruterfolg. Da hat es sich in den Sommermonaten ganz schön abgespielt.
Wie kann man sich das vorstellen?
Die Störche kommen im Mai zur Welt und beginnen ab Juli zu fliegen, sie sind körperlich sehr schnell ausgewachsen und haben dann schon eine Flügelspannweite von bis zu zwei Metern. Es ist dann ungefähr so, wie wenn ein Baby zu laufen beginnt. Sie sind tollpatschig und stürzen an den unmöglichsten Stellen ab, landen oft auf Dächern und in Privatgärten und von dort müssen wir sie dann wieder befreien.
Sie sind ja Geschäftsführer von Schloss Marchegg, das erst kürzlich renoviert wurde – und dabei gab es ja einige Entdeckungen, oder?
Genau. Da sind Geheimnisse gelüftet worden, zum Beispiel hat man während der Arbeiten die Fundamente vom Verteidigungsturm der alten Burg aus dem 13. Jahrhundert entdeckt, die unter dem heutigen Schloss liegt – da war einfach darüber gebaut worden. Eine andere Geschichte: In den 1950er-Jahren war das Schloss in Privatbesitz und wäre fast abgerissen worden. Es gab dann Bürgerproteste und im Endeffekt konnte die Gemeinde den Abbruch verhindern und das Schloss mit Hilfe des Landes Niederösterreich kaufen – unter der Bedingung, dass hier Wohnraum geschaffen wird, nach dem 2. Weltkrieg war ja extreme Wohnungsknappheit. Nahezu 20 Gemeindewohnungen sind damals entstanden, der letzte Mieter ist im Oktober 2021 verstorben. Unter seiner Wohnung hat man einen Kerker gefunden, mit Metallringen, ein beeindruckender Einsäulenraum aus dem 13. Jahrhundert, von dem es weltweit nur noch drei oder vier gibt – und der wird jetzt im Zuge der Weiternutzung restauriert.
Hat man nicht auch eine alte Gruft wiederentdeckt?
Ja, die Gruft der ehemaligen Besitzerfamilie Pálffy, einem berühmten Fürstengeschlecht. Man hatte ihr nicht viel Beachtung geschenkt: In den Archiven stand, dass die Särge irgendwann nach Heidenreichstein überstellt worden wären. Diese Gruft ist immer unter Wasser gestanden, weil wir hier so einen hohen Grundwasserspiegel und immer wieder Überschwemmungen haben – aber nachdem das Wasser während der Renovierung abgepumpt worden war, hat sich erstens herausgestellt, dass es sich bei der Gruft um ein Frühwerk von Clemens Hofmeister handelt, dem berühmten Wiener Ringbauarchitekten. Und zweitens, dass die Särge noch da waren. Die angebliche Überstellung nach Heidenreichstein dürften also barocke „Fake News“ gewesen sein, um Grabräuber fernzuhalten.
Besonders schön ist der alte Baumbestand im Schlossgarten. Was findet man da vor?
Wir haben zum Beispiel eine der größten Platanen Österreichs im Garten, die um die 350 Jahre alt ist. Um den Stamm zu umkreisen, braucht es zwölf Männer, das ist wirklich eindrucksvoll. Dohlen gibt es jetzt auch wieder – die nutzen die großen Astlöcher als Nistplätze. Dann gibts auch noch 400 Jahre alte Tulpenbäume, von denen sich schon Friedensreich Hundertwasser inspirieren hat lassen. Auf seinem Grab in Neuseeland wurde sogar ein Tulpenbaum gepflanzt und es ist anzunehmen, dass der aus dem Marchfeld ist, auch wenn es dazu nichts Schriftliches gibt – jedenfalls hatte ein Zeitzeuge zehn Jahre vor Hundertwassers Tod Samen von diesem Baum gesammelt und Hundertwasser selbst hatte aus diesen dann in Neuseeland junge Bäume gezogen.
Was findet sich sonst an Besonderheiten in Sachen Flora und Fauna im Marchfeld?
Die Feuchtgebiete, also die Marchauen in Kombination mit den Donau-Auen, sind eines der größten zusammenhängenden Augebiete in Europa. Die Besonderheit besteht darin, dass die Marchauen direkt an die Donau-Auen angrenzen und die Pflanzenwelten trotzdem unterschiedlich sind. Der Boden in den Marchauen ist wegen der häufigen Überschwemmungen durch die March, die „saure“ Segmente, also Sulfate und Sulfite transportiert, entsprechend sauer – dort wird man nur ganz selten Schneeglöckchen oder Bärlauch finden, wie am basischen Boden in den Donau-Auen. Auch die Tierwelten unterscheiden sich: Eine Hirschkäferlarve braucht zum Beispiel in den Marchauen länger, um sich entwickeln zu können, als in den Donau-Auen. Eine andere Besonderheit ist, dass die March, die ein langsam fließender, mäandrierender Tieflandfluss ist, in die Donau mündet, die an dieser Stelle aufgrund der Geschwindigkeit des Gefälles noch als Gebirgsfluss gilt. Dass ein Tieflandfluss in einen Gebirgsfluss mündet, ist eine Seltenheit – normalerweise ist es umgekehrt.
Apropos Tierwelt – da gibt es ja auch noch eine berühmte, seltene Ameisenart mit einem Namen, den man sich leicht merkt.
Genau, die Seidenarsch-Ameise, das ist eine rote Drüsenameise mit einem schwarz-weiß-gestreiften Hinterteil, rotem Rücken und schwarzem Kopf – eine Art, die auf der roten Liste steht, sich bei uns hier aber wieder langsam verbreitet. Diese Ameisen leben in den Kronen der über 300 Jahre alten Linden, die wir im Schlosspark haben, wo sie vor Überschwemmungen geschützt sind – denn ihr Lebensraum sind Überschwemmungsgebiete. Eine andere, bedrohte Art, die sich bei uns im Totholz verbreitet, ist der Eremitenkäfer, ein überdimensional großer Rosenkäfer.
Gibt es tatsächlich auch Wildpferde?
Ja, die Konik-Pferde im WWF-Reservat sind für Besucher:innen immer besonders toll. Das sind genetisch weit entfernte Verwandte des Urpferds, die wild in der Au leben und nur im äußersten Notfall betreut werden. Sie übernehmen seit 2015 die Beweidung im Augebiet. In den 1970er und 80er-Jahren sind diese Wiesen gemäht worden. Dabei hat man aber viele kleine Wirbeltiere, Heuschrecken und Käfer vernichtet. Seit die Pferde da sind, wachsen wieder Pflanzen, die vorher nicht da waren – und jetzt siedeln sich wieder Heuschrecken, Erdwespen und Erdbienen an.
An welchen Projekten arbeiten Sie derzeit?
Wir möchten das Marchfelder Schlösserreich besser mit den vorhandenen Radrouten verbinden, das heißt bei uns Schlösserradeln. Da kann man auf einer Rundfahrt jedes Marchfeld-Schloss mit dem Rad besuchen. Außerdem haben wir eine neue Brücke über die March, die auf den Iron Curtain Trail (dem Eurovelo 13). Auch auf dieser Route kommt man an Schloss Marchegg und Schloss Hof vorbei. In Marchegg selbst wird sich auch einiges tun – wir erweitern unser Angebot, unter anderem wird es eine Ausstellung zur 750-jährigen Geschichte des Schlosses geben, außerdem neue Naturvermittlungen und einiges mehr – es tut sich was im Marchfeld!