Waldbaden ist wie Aromatherapie

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„Wir haben Wurzeln, und die sind definitiv nicht in Beton gewachsen“, hat der Musiker Andreas Danzer gesagt.

Was der Wald mit dem Menschen macht, warum Achtsamkeitsübungen dort besonders sinnvoll sind und der Wienerwald sich fürs Waldbaden anbietet, weiß Waldbaden-Trainerin Bianca Forstik.

Von Stadtflucht zu Waldluft

Mit fast 38 Millionen Einwohner:innen fühlt sich der Ballungsraum Tokio nicht wie eine Stadt, sondern wie mindestens zehn an. Die größte Stadt der Welt ist sicherlich faszinierend. Aber ihr Bedürfnis nach Natur, frischer Luft und Stille müssen die Menschen, die dort leben und meistens zu viel arbeiten, anderweitig befriedigen. Das Konzept des Waldbadens, wie wir es heute kennen, kommt aus dem Japan der 1980er-Jahre. Es ist wohl eines der besten Programme zur Gesundheitsvorsorge überhaupt. Dort sagt man dazu „Shinrin Yoku“, was sich mit „Eintauchen in die Waldatmosphäre“ übersetzen lässt. Was aber die wenigsten wissen: Ursprünglich kommt der Trend, der keiner ist, aus dem alten China. Dort sagt man dazu „Senlinyu“, wie Bianca Forstik weiß: „Die großen chinesischen Meister haben schon vor tausenden Jahren die Wirkung, die vom Wald ausgeht, verstanden – und unter Bäumen ihre Qigong-Übungen gemacht.“ Qi oder Chi steht für Lebensenergie, Gong für Üben; Qigong sind also Körper- und Wahrnehmungsübungen, mit denen die Lebensenergie angerufen wird.

Wien spielt im Vergleich zu Tokio in einer anderen Liga, keine Frage. Aber dennoch – es ist eine Stadt, die glücklicherweise an den Wienerwald grenzt. Man hat es also nicht weit, um sich im Wald Gutes zu tun. „Das Leben in Städten ist evolutionsgeschichtlich sehr jung“, sagt Bianca, die seit 2017 Waldbaden anbietet. „Vor dem Industriezeitalter hat der Mensch immer in waldnahen oder steppenartigen Gebieten gelebt.“ Dass der Wald dem Menschen guttut, ist nicht nur ein Gefühl, sondern auch wissenschaftlich bewiesen. „Bäume kommunizieren miteinander über bestimmte Botenstoffe, die Terpene. Wenn wir in den Wald gehen, nehmen wir diese Terpene in uns auf – und die stärken nachweislich das Immunsystem, wirken ausgleichend auf den Blutdruck und reduzieren Stresshormone. Waldbaden ist wie Aromatherapie“, erklärt Bianca. Terpene lassen sich mit Vokabeln vergleichen, über die die Pflanzen im Wald sich verständigen. Wären sie mit freiem Auge erkennbar, dann wäre die Waldluft voller herumschwirrender Wörter.

Was unterscheidet das Waldbaden von einem Waldspaziergang oder einer Wanderung?

„Beim Waldbaden ist der Weg das Ziel. Eigentlich sollte man, wenn man zwei Stunden im Wald ist, nur ein bis zwei Kilometer zurücklegen“, sagt Bianca und spricht dabei einen wichtigen Punkt an: Es geht nicht in erster Linie ums Gehen, sondern ums Verweilen. Nicht ums Vorankommen, sondern ums Stehenbleiben. Im Wasser steht man auch oft nur herum, taucht mal unter oder lässt sich auf der Oberfläche treiben. Schaut in den Himmel, atmet ein und länger aus, macht mal die Augen zu. „Ein chinesisches Sprichwort sagt: Eine Schildkröte kann dir mehr vom Weg erzählen als ein Hase“, sagt Bianca. Und das nicht nur im Frühling, denn im Wald hat jede Jahreszeit ihren Reiz: im Frühjahr das Aufblühen, im Sommer die Kühle, im Herbst die Farben, im Winter die Stille. Der Wald ist immer ein guter Therapeut.

Auch die viel zitierte Achtsamkeit hat therapeutische Wirkung.

Bianca beschreibt sie als „Ankommen im gegenwärtigen Moment“, es gehe um das Wahrnehmen dessen, was ist, auch um das Wertschätzen kleiner Freuden. Ihre Wirkung zeigt sich in der Praxis; man muss sie also immer wieder ausüben, ins Leben integrieren – oder eben in den Wald. Achtsamkeit ist das zentrale Element des Waldbadens. Auch im Wald geht es darum, die Umgebung wahrzunehmen, sein Tempo zu drosseln, mal genauer hinzusehen, hinzuriechen, hinzuspüren, hinzuhören. „Du solltest jeden Tag 20 Minuten in der Natur sein, außer du bist sehr beschäftigt, dann solltest du eine Stunde in der Natur sein“, so eine alte Zen-Weisheit, die da auch sehr gut passt.

In eine ähnliche Kerbe schlägt die Attention Restoration Theory (Theorie zur Wiederherstellung der Aufmerksamkeitsfähigkeit), die besagt, dass ein Aufenthalt in der Natur den Kopf klar macht (Stichwort: Brain Fog), die Konzentration fördert und die Kreativität pusht. Da wundert es nicht, dass der Wienerwald immer schon Künstler:innen angezogen hat, auch das von Bianca entwickelte Waldbaden-Programm „WienerWaldSein“ findet nicht ohne Grund ebendort statt. Der Komponist Franz Schubert hat Erzählungen zufolge in der Höldrichsmühle, im Schatten einer alten Linde, ein berühmtes Lied für den Zyklus „Die Winterreise“ komponiert. Der Schriftsteller Adalbert Stifter hat sich von der besonderen Aussicht vom Tulbingerkogel zu einem Text darüber inspirieren lassen. Beethoven war auch immer wieder vor Ort – was er wohl gehört hat, zwischen den Bäumen?

Termine WienerWaldSein 2024:

Der Wienerwald ist der ideale Kontrapunkt zum dicht besiedelten Wien.

Rund ein Drittel des Biosphärenparks stehen als Pflege- und Kernzonen unter besonderem Schutz; in Kernzonen, die als Naturschutzgebiete definiert sind, gibt es das sogenannte Wegegebot, das heißt, es dürfen ausschließlich offiziell angebotene und markierte Wege benützt werden. Fürs Waldbaden zu empfehlen sind eher ruhigere Wanderwege.

Tourentipps von Bianca Forstik:

  • Weg von Laaben nach Breitenfurt (Details zur Tour)
  • Rundwanderung über den Hohen Lindkogel von Pottenstein aus (Details zur Tour)
  • Von Berndorf über den Guglzipf bis St. Veit an der Triesting (Details zur Tour)
  • Von Dürrwien nach Rekawinkel, wo man auch am Kaiserbründl vorbeikommt, einer Quelle, aus der schon Kaiserin Elisabeth gerne getrunken hat (Details zur Tour)

Für das Waldbaden mit Qigong empfiehlt Bianca Forstik Orte wie lichtere Waldstücke („Wo der Baumbestand nicht so dicht ist, fühlt man sich eher wohl“), oder, wenn vorhanden, Orte in der Nähe von Bächen, Flüssen oder Seen („Wasser beruhigt den Menschen“). Auch höher gelegene Plätze bieten sich an, „da hat man Überblick und kann den Alltag symbolisch hinter sich lassen.“ Ein Abschlussritual des Waldbadens in Japan ist übrigens die Teezeremonie, die auch beim WienerWaldSein integriert ist: „Da ist dann auch eine Tasse Tee für den Wald dabei – als Zeichen der Dankbarkeit, dass man da jetzt verweilen durfte.“  

„Waldbaden to go“

Die Übungen, die das Waldbaden intensivieren, wirken auch noch im Alltag nach – und können ebenso anderenorts durchgeführt werden. Waldbaden-Trainerin Bianca Forstik empfiehlt folgende 5 Übungen:

#1 Erden: Spüren Sie ganz bewusst in Ihre Füße hinein und nehmen Sie den Waldboden wahr. Noch direkter – und zudem gesundheitsfördernd – ist der Kontakt barfuß.

#2 Qi sammeln: Einatmend heben Sie die Arme über die Seite nach oben über den Kopf. Die Handflächen zeigen dabei nach oben. Ausatmend drehen Sie die Handflächen nach unten und senken die Arme vor dem Körper ab, sodass die Handflächen dann zum Unterbauch zeigen. So nehmen Sie das Qi des Waldes in sich auf.

#3 Der Natur lauschen: Suchen Sie sich einen schönen Platz im Wald, schalten Sie Ihr Handy ab und schließen Sie die Augen. Was hören Sie? Den Gesang der Vögel, den Wind in den Blättern, ein Rascheln im Gebüsch? Lassen Sie sich inspirieren von den unterschiedlichen Tönen und Klängen wie einst die großen Komponisten.

#4 Der Baum: Folgen Sie Ihrer Intuition und suchen Sie sich einen Baum. Lehnen Sie sich an seinen Stamm und lassen Sie die Umgebung auf sich wirken. Werfen Sie auch mal einen Blick in die Baumkrone. Für das Spiel aus Licht und Schatten haben die Japaner:innen sogar ein eigenes Wort: „Komorebi“.

#5 Gehmeditation: Durchbrechen Sie den gewohnten Trott und schlendern Sie bewusst langsam dahin. Nehmen Sie sich Zeit, den Weg zu erkunden, an Blüten zu riechen oder einfach alles zu erforschen, was Sie anspricht.