Wenn im Waldviertel der Teich kocht
Merkliste aufrufen merkenBeim Abfischen auf Schloss Litschau.
Über Waldwege geht es am frühen Morgen hinauf zum Richterteich von Schloss Litschau. Als wir ankommen, ist der Großteil des Wassers des 3,8 Hektar großen Teiches bereits abgelassen, Männer in Watthosen stehen knietief im Wasser und ziehen Zugnetze durch das Wasser. Immer enger geht es Richtung Ufer, bis alle Fische nur noch auf kleinstem Raum, dem sogenannten „Fischwasser“, beisammen sind. Die Fische hüpfen, das Wasser spritzt, der Teich scheint zu brodeln – und wir verstehen, was der Waldviertler Volksmund meint, wenn es beim Abfischen heißt „der Teich kocht“.
„Der Teich wird nur so weit abgelassen, dass den Fischen immer noch genug Sauerstoff übrigbleibt. Die Fische bleiben nämlich bis zum Sortieren im Fischwasser“, erklärt Franziskus Seilern-Aspang, Eigentümer der Schloss Litschau Fischzucht, der uns heute zum Abfischen mitgenommen hat. Trotz der kühlen Morgentemperaturen sind etliche Freunde von Franziskus zusammengekommen, um ihm zu helfen. Denn das Abfischen ist im Waldviertel nichts, für das man jemanden beauftragt. Vielmehr packen hier Freunde und Familie mit an, bis der Teich leergefischt ist. Wie selbstverständlich scheint jeder seine Aufgabe zu kennen – jeder einzelne beherrscht das Handwerk. Die einen holen die Fische mit Keschern aus dem Fischwasser, die anderen sortieren die Fischarten – 14 unterschiedliche tummeln sich hier –, wieder andere tragen die vorsortierten Fische in großen Bottichen zur Waage, bevor sie in die Hälterbecken auf großen Anhängern kommen.
Dass die Fischteiche von Schloss Litschau heute wieder von Familie Seilern-Aspang selbst bewirtschaftet werden, hat Franziskus initiiert. Als er ab 2015 schrittweise den Betrieb von seinem Vater Johannes übernahm, waren die zuvor verpachteten Fischteiche der erste Betriebszweig, den er in Angriff nahm. Doch angelegt wurden die Teiche teils schon vor hunderten Jahren. Aufzeichnungen des Zisterzienserstifts Zwettl belegen, dass bereits im Jahr 1164 die ersten Weiher rund um das Stift zu Fischteichen ausgebaut wurden. Möglich machte das die Waldviertler Landschaft: Die Moore ließen einst dichte Lehmböden entstehen, aus denen Teiche gebaut werden konnten. Dank dieser historischen Belege wird die Waldviertler Teichwirtschaft von der FAO in Kürze als „Globally Important Agricultural Heritage System“ (kurz: GIAHS) ausgezeichnet. „Die Fischzucht im Waldviertel funktioniert noch immer genau so wie im 12. Jahrhundert, weil es einfach die ideale Landwirtschaftsform für Fische ist“, erklärt Franziskus. „Der einzige Unterschied: Die Watthosen sind nicht mehr aus Leder und die Netze nicht mehr aus Hanf.“
Auf einem Hektar Teichfläche schwimmen nur rund 300 Kilogramm Fisch. Nicht mehr Fische auf kleinerer Fläche zu halten, sei wichtig für das natürliche Gleichgewicht, denn die Fische werden nur zu fünfzig Prozent zugefüttert, den Rest des Futters suchen sich die Fische im Teich. Sind sie groß genug, werden die meisten Fische als Besatzfische in Niederösterreichs Flüssen ausgesetzt. Seit kurzem bieten Franziskus und Amelie einen Teil – hauptsächlich die beliebten Karpfen und einige rare Welse – auch als Speisefische ab Hof an. Sie werden mit einem schnellen, präzisen Schlag auf den Kopf getötet, dann geschuppt und ausgenommen. Küchenfertig landen sie in den Küchen der lokalen Gastronomie – etwa bei Küchenchef Klaus Hölzl vom „Dorfwirt“ in Litschau, der nicht nur gebackenen Karpfen serviert, sondern aus „Schloss-Litschau“-Wels auch sein „Wurzelfleisch“ mit violetten Erdäpfelraritäten serviert. Einen Teil ihrer Fische verarbeiten Franziskus und Amelie aber auch zu Spezialitäten wie geräucherten Karpfen in Öl oder Karpfenkaviar, der geräuchert und mit Gewürzen ebenfalls in Öl eingelegt wird. Beim Kosten der herrlichen Fischgerichte kommen wir nicht umhin, der Waldviertler Redewendung noch eine weitere Bedeutung hinzuzufügen: „Gut hat er gekocht, der Teich.“
Wer das Spektakel des Abfischens selbst erleben möchte, sollte sich die nächsten Termine für die „Waldviertler Abfischfeste“ gleich im Kalender notieren. Die meisten finden Ende Oktober bzw. Anfang November statt – der Waldviertler Karpfen ist ein beliebtes Gericht zu den Festtagen. In einigen Teichwirtschaften, wie auf Schloss Litschau, wird auch zu Frühlingsbeginn abgefischt.
Am 19. und 20. Oktober 2024 gibt es die einzigartige Möglichkeit beim Fischtanz Litschau dabei zu sein, wenn die Schlossfischerei abfischt und zeitgleich Adi Bittermann und Jürgen Kernegger fünf einzigartige Gänge mit heimischen Fischen über offenem Feuer kreieren.