Rund um Kirchberg, Oberstockstall
Merkliste aufrufen merkenWo sich das Superfood der Inkas ebenso zuhause fühlt wie eine uralte Waldviertler Rinderrasse und wo man die Schätze der Saison im Glas fermentiert
Unser erster Halt führt uns in das imposante Gut Oberstockstall, das auf eine lange Geschichte zurückblickt: Die gotische Kapelle stammt aus dem 14. Jahrhundert, das Renaissance-Schloss aus dem 16. Jahrhundert. Aus derselben Zeit stammt auch ein Alchemisten-Laboratorium, das 1980 auf Gut Oberstockstall gefunden wurde. 1869 ersteigerte Familie Salomon das Anwesen, heute wird es von Birgit und Fritz Salomon geführt. Fritz produziert auf dem Gut Wein nach biologisch-dynamischen Prinzipien: „Das war für uns ein logischer Schritt nach der Umstellung auf Bio“, sagt er. Denn er strebt danach, seine Weine so unverfälscht wie möglich abzufüllen. Alle Trauben werden händisch geerntet. Reifen dürfen die Weine im historischen Weinkeller aus dem 14. Jahrhundert. Auch dort setzt Fritz auf Natur pur und arbeitet ausschließlich mit wilden Hefen, die natürlich im Keller und im Weingarten vorkommen. Schwefel setzt er nur sehr sparsam ein. Dadurch gelänge es ihm, noch mehr von der einzigartigen Terroir-Charakteristik des Wagrams in die Flasche zu bringen, sagt er.
Alte Rassen und neue Sorten im Kreislauf
Ganz nach dem wichtigsten Prinzip der biologisch-dynamischen Landwirtschaft führt Fritz den Hof als geschlossenen Kreislauf samt Ackerbau und Viehzucht. Auf den Weiden um das Gut hält er Kamerun-Schafe und Waldviertler Blondvieh, eine alte, robuste Rinderrasse. Vor wenigen Jahrzehnten beinahe vom Aussterben bedroht war, wird sie heute von engagierten Bauern und Bäuerinnen wie Fritz erhalten. Auf seinen Äckern gedeiht neben Futtergetreide für die Tiere außerdem Quinoa, ein sogenanntes Pseudogetreide, das bereits vor 6000 Jahren von den Inkas in Südamerika kultiviert wurde. Als sich Fritz‘ älteste Tochter Johanna vor einigen Jahren mit veganer Ernährung auseinandersetzte und dabei unweigerlich auf das Superfood der Inkas stieß, entschied Fritz, dass es nicht allzu weit reisen sollte. Experimentierfreudig wie er ist, baut er seither als erster in Österreich Quinoa in Demeter-Qualität an – in Dammkultur, um ein eigenes Mikroklima für das empfindliche Korn zu schaffen. Seine anspruchsvolle Pflege verlieh der Quinoa auf Gut Oberstockstall auch den liebevollen Namen „Queenoa“.
Müßiggang und Genuss in alt-ehrwürdigen Mauern
Birgits Reich sind die sieben großzügigen und lichtdurchfluteten Gästezimmer auf Gut Oberstockstall. Lange hatten sie und Fritz darüber nachgedacht, wie sie die alten, ehrwürdigen Schloss-Gemäuer aus dem Barock und der Renaissance umbauen könnten, um sowohl ihren historischen Wert zu wahren als auch Leben einziehen zu lassen: „An diesen Ort gehören Menschen.“ Ein befreundeter Architekt half ihnen, das Schloss umsichtig umzugestalten. „Es ist mir wichtig, Menschen an diesen historischen Mauern teilhaben zu lassen, die sonst keine Möglichkeit dazu hätten“, sagt Birgit. Neben den individuell gestalteten Zimmern können sich die Gäste im Obstgarten unter den alten Marillenbäumen dem Müßiggang hingeben, im Naturbadeteich schwimmen und im Frühstücksraum am 250 Jahre alten "Jogltisch" täglich ein Bio-Frühstück mit Holzofenbrot, selbstgemachten Striezeln und Marmeladen sowie saisonalem Obst und Gemüse aus dem angrenzenden Gemüsegarten von Rudi Hoheneder genießen.
Gretis und Rosis wilde Fermente
Nur ein paar Häuser weiter, ebenfalls im Dörfchen Oberstockstall, treffen wir Greti Mayer und Rosi Winter vom Kulturverein „Fermentarium“. Die beiden haben sich dem handwerklichen Verarbeiten von regionalem Obst und Gemüse verschrieben – mithilfe uralter Fermentationstechniken und wilder Hefen vom Wagram. In ihrer kleinen Küche fermentieren sie, was über die Sommermonate im Überfluss vorhanden ist, um es zu konservieren und übers Jahr zu verteilen. In ihren regelmäßig stattfindenden Workshops zeigen sie, wie saisonales Obst und Gemüse, aber auch Getreide durch Fermentation zu kostbaren, saisonalen Schätzen im Glas werden. Hier werfen wir einen Blick in Gretis und Rosis Küche und erfahren mehr über die Mission von Fermentarium.
Restaurant Gut Oberstockstall
Zum Essen geht’s zurück ins Restaurant von Gut Oberstockstall, das Matthias Salomon, der Bruder von Fritz Salomon, gemeinsam mit seiner Frau Elke führt. Das Restaurant wurde 1987 von Eva Salomon, Matthias‘ und Fritz‘ Mutter, gegründet. „Ihr Talent, aus einfachen, hochwertigen Zutaten köstliche Gerichte zu kreieren, prägt heute noch unsere Küche“, sagt Matthias. Zusammen mit Küchenchef Christoph Wagner servieren Matthias und Elke saisonale Gerichte, die die Vielfalt und den Geschmack der Region auf den Teller bringen. Die Zutaten stammen größtenteils aus der Landwirtschaft von Matthias' Bruder Fritz und der angrenzenden solidarischen Landwirtschaft von Rudi Hoheneder. Alle übrigen Zutaten werden nach Möglichkeit aus der Region Wagram bezogen, wobei Matthias darauf achtet, alle Produzent:innen angemessen zu würdigen – etwa auf der Speisekarte. „Der Sommer ist die beste Zeit im Restaurant – da können wir aus dem Vollen schöpfen“, sagt Matthias. Zum Gedeck werden hausgemachtes Dinkel-Einkorn-Baguette und fermentiertes Gemüse vom Fermentarium gereicht. Danach folgt ein bunter Sommersalat aus Rudis Garten und knusprig gebratener Alpsaibling auf Fritz' „Queenoa“. Glücklich und satt sind wir froh, dass wir nicht weit gehen müssen – unter dem mächtigen Nussbaum im Hof hindurch und schon sind wir in unseren Zimmern angekommen.
Kulinarischer Nachschlag: Naschmarkt in Kirchberg am Wagram
Samstags gustiert man am besten am Naschmarkt in Kirchberg am Wagram: Jede Woche von Anfang Mai bis Ende Oktober laden seit über 20 Jahren die Produzent:innen ein, die bäuerlichen Eigenerzeugnisse zu verkosten und einzukaufen. Wir empfehlen: Unbedingt die frisch gebackenen Kanelbullar von Freibäckerin Kerstin probieren und einen Espresso von Bernd Salat genießen!
„Alchemistenpark“ in Kirchberg am Wagram
Seit seiner Gründung im Jahr 2007 hat der Permakulturgarten „Alchemistenpark“ in Kirchberg am Wagram das Ziel, alle essbaren ein- und mehrjährigen Obst- und Gemüsearten, Nüsse sowie Gewürze, die in unserem Klimabereich gedeihen, zu präsentieren. Mit einer beeindruckenden Sammlung von rund 150 Sorten ist dieser Park als essbare Landschaft konzipiert und bietet einen umfassenden Überblick über zahlreiche Pflanzen mit essbaren Blättern und Früchten. Neben bekannten Obstgehölzen, Gemüsepflanzen und Kräutern gilt es hier auch seltene und alte Obstsorten, die sonst kaum noch zu finden sind, zu entdecken. Selbst Exoten wie Blauschotenstrauch, Indianerbanane und Kiwi gedeihen hier.